Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES)

Spezifische Sprachentwicklungsstörungen (SSES) oder auch umschriebene Sprachentwicklungsstörungen (USES) bilden eine Untergruppe der Sprachentwicklungsstörungen. Als spezifisch werden Sprachentwicklungsstörungen dann bezeichnet, wenn keine weiteren Behinderungen, Schädigungen oder Erkrankungen vorliegen. Die SSES ist somit eine Entwicklungsstörung, die nur die Sprache betrifft, wobei sprachunabhängige Fähigkeiten dem Alter entsprechend entwickelt sind. Eine SSES kann sich individuell durch Störungen auf einer oder auf mehreren sprachlichen Ebenen äußern (Cholewa, 2020, S. 18).

Die Ursachen einer SSES sind nicht sicher festzustellen. Es wird davon ausgegangen, dass genetische Faktoren ursächlich für eine SSES sind. Diese beeinflussen biochemische Prozesse, die für die Hirnreifung verantwortlich sind. Es konnten neurobiologische und neurophysiologische Auffälligkeiten bei der Sprachverarbeitung von Kindern mit SSES beobachtet werden. Diese Auffälligkeiten wiederum können zu Störungen in der Entwicklung und Funktion kognitiver Systeme führen, die für die Sprachverarbeitung von Bedeutung sind (Cholewa, 2020, S. 21f.).  

Angaben zur Prävalenz von Kindern mit SSES werden in der Literatur sehr unterschiedlich angegeben, da keine einheitlichen Diagnostikverfahren und verschiedene Kriterien zur Definition bestehen (Suchodoletz, 2003, S. 31). Durchschnittlich kann von einer Prävalenz von ca. 7% ausgegangen werden (Neumann et al., 2009, S. 223f.). Es konnte gezeigt werden, dass eine SSES mit einer veränderten Symptomatik auch bis ins Erwachsenenalterbestehen bleiben kann (Conti-Ramsden, Clair, Pickles & Durkin, 2012, S. 1729; Hesketh & Conti-Ramsden, 2013, S. 4f.).

Wie auch bei der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen mit bekannten Ursachen, sollte bei der Behandlung von SSES das Vorgehen individuell auf das betroffene Kind und die jeweiligen Störungen angepasst werden. Die Teilhabe und Partizipation im Alltag des Kindes sollte dabei an erster Stelle stehen. Therapeutische Maßnahmen und Unterstützungsmöglichkeiten sollte sich deshalb danach ausrichten, wie die Fähigkeiten, die das Kind zur Kommunikation in seinem Lebensalltag benötigt, gestärkt werden können (Neumann et al., 2009, S. 228f.).

Die Bezeichnung SSES bzw. USES steht seit einigen Jahren in der Diskussion. Da eine SSES in der Realität häufig von weiteren Auffälligkeiten begleitet wird, stellt sich die Frage, wie spezifisch eine SSES wirklich ist. Zudem stehen kognitive und sprachliche Fähigkeiten in enger Beziehung zueinander, so dass sprachliche Beeinträchtigungen kaum isoliert betrachtet werden können. Die Feststellung einer SSES wird allein durch Ausschlusskriterien vorgekommen. Es wird befürchtet, dass es dadurch zu einer Fehl- und Unterversorgung der Kinder kommen kann, die zusätzliche Auffälligkeiten (z.B. Aufmerksamkeitsstörungen, kognitive Einschränkungen) zeigen und damit nicht in die Gruppe der Kinder mit SSES gehören (Scharff Rethfeldt & Ebberls, 2019, S. 25ff.; Kauschke & Vogt, 2019, S. 176ff.).